Frühe Jahre und Ausbildung
Helene Schweitzer Bresslau, geb. am 25. 1. 1879 in Berlin, das zweite Kind von Caroline und Harry Bresslau, verbringt eine unbeschwerte Zeit in der Großstadt. Sie ist elf, als der Vater als Ordinarius für Mittelalterliche Geschichte nach Straßburg berufen wird. Die neue Umgebung, das Erlernen des Französischen, fallen der begabten Tochter nicht schwer. Bereits im Dezember 1896 kann sie 17-jährig das Examen zur Lehrerin an Höheren Mädchenschulen ablegen. Zweifel, ob sie für diesen Beruf geeignet sei, lassen sie ein Studium für Gesang und Musik aufnehmen, später beginnt sie ein Kunststudium.
Auf der Hochzeit einer Freundin im August 1898 begegnet sie erstmals Albert Schweitzer. Doch erst 1902 entwickelt sich zwischen beiden eine tiefe Freundschaft, die auch anhält gegen gesellschaftliche Konventionen und den zeitweiligen Einspruch der Eltern.
Die Begegnung mit Thomas John Bernardos in London, dem „Vater der Niemandskinder“ weist ihr den Weg für ihren späteren Einsatz als ehrenamtliche Waisenpflegerin, aus der 1905 ihre Tätigkeit als Hauptamtliche Waiseninspektorin im Straßburger Gemeindewaisenamt erwächst. Fünf Jahre ist sie verantwortlich für etwa 1200 Säuglinge und Waisenkinder. 1908 gipfelt ihre erfolgreiche Arbeit in der Gründung eines Mütterheims für ledige Mütter in Neudorf bei Straßburg. Sie kündigt ihre Stelle, um von September 1909 bis 1910 sich zur Krankenschwester im Bürgerspital zu Frankfurt am Main ausbilden zu lassen. Denn inzwischen zeichnet sich ab, dass ihr Freund Albert als Arzt nach Lambarene gehen wird.
Die Ausbildungszeit besteht Helene nicht unbeschadet, sie hat sich mit Tuberkulose angesteckt. Zu jener Zeit eine tödliche Krankheit. Obgleich Helene nach vier Monaten ausgeheilt zu sein scheint, wird sie hinfort immer wieder Fieberschübe bekommen, die sie an einer kontinuierlichen Arbeit hindern.
Nach der Heirat am 18. Juni 1912 in Günsbach bricht das Ehepaar Schweitzer im Frühjahr 1913 nach Französisch-Äquatorial-Afrika (heute Gabun) auf. Sie errichten das erste Spital in Andende / Lambarene und verbleiben dort bis September 1917, bis sie als Internierte nach Frankreich zurückgeführt werden.
Am 14. Januar 1919, Alberts 44. Geburtstag, wird die Tochter Rhena in Straßburg geboren. Ab 1924 wohnen die Schweitzers in Königsfeld, wo sie ein Haus gebaut haben.
Im September 1933 verlässt Helene dieses mit der Tochter und zieht nach Lausanne, da sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft Verfolgung durch die Nationalsozialisten befürchten muss. 1937, nach Rhenas Abitur, wird New York der neue Wohnsitz. Von hier bricht sie im Oktober 1938 zu einer achtwöchigen Vortragsreise auf und sammelt Spenden für das Spital und sichert somit dessen Unterhalt während des 2. Weltkrieges. Auf der Flucht vor deutschen Truppen begleitet Helene Rhena und ihre Familie von Paris nach Südfrankreich. Mehr als ein Jahr ist sie unterwegs, um über Portugal und Angola zu ihrem Mann zu gelangen. Sie bleibt von August 1941 bis September 1946 in Lambarene und betätigt sich als Krankenschwester.
Die Jahre nach 1946
Zu einem Gastvortrag zu Goethes 200. Geburtstag begleitet sie Albert 1949 nach Aspen / Colorado und bei der Friedensnobelpreisverleihung im November 1954 (für 1952) sitzt sie an der Seite ihres Gatten und genießt sichtlich die Ehrungen, die dem Paar zuteil werden.
Ihr neunter Aufenthalt in Lambarene endet am 22. Mai 1957. Sie stirbt 78-jährig am 1. Juni 1957 in Zürich. Ihre Asche wird an ihrem 79. Geburtstag in Lambarene beigesetzt und ruht heute an der Seite Alberts Schweitzers.
Helenes Bedeutung allgemein
Gebildet in den Bereichen Kunst, Musik, Sprache, Literatur, Theologie und Philosophie erstrebte Helene keine akademische Laufbahn. Sie wollte aber auch keine standesgemäße Ehe eingehen, nur um verheiratet und somit versorgt zu sein.
In Übereinstimmung mit Albert Schweitzer war sie sich ihrer gehobenen gesellschaftlichen Stellung bewusst und sah sich daher in besonderer Verantwortung, ihre Fähigkeiten für Menschen einzubringen, denen es nicht so gut ging wie ihr. Dies gelang ihr sowohl als Waiseninspektorin (1905 – 1909) als auch in der Arbeit mit Albert Schweitzer in Lambarene. Das Spital sah sie zeitlebens als ihr gemeinsames Lebenswerk an.
Ihre Entschlossenheit und Willensstärke war gepaart mit Takt und Feingefühl. Zwei Weltkriege und die Demütigungen, die sie durch die Nationalsozialisten erfuhr, konnten ihren Lebenswillen nicht brechen und ihr humanes Denken nicht verbiegen. Konsequent und überzeugt lebte sie Albert Schweitzers Ehrfurcht vor dem Leben.
Helenes Bedeutung für die Arbeit Albert Schweitzers und das Spital in Lambarene
Für Albert Schweitzer war Helene mehr als eine „Stütze“, davon zeugt der Briefwechsel von 1902 – 1912. Der geistige Austausch mit dieser klugen, feinfühligen Frau war für Schweitzer lebensnotwendig. Er erfuhr durch sie seelischen Halt und Bestätigung seiner Idee, in Afrika der schwarzen Bevölkerung Gutes zu erweisen. Selbst in Krankheitsphasen, aber auch während ihrer Tätigkeit als Waiseninspektorin und ihrer Ausbildung zur Krankenschwester korrigierte Helene Schweitzers Texte, bevor sie in den Druck gingen. Bereits in Straßburg hatte die junge Frau sich für die Pflege von Säuglingen eingesetzt und Mütter unterwiesen. Auch in Lambarene fiel ihr diese Aufgabe zu. Nach Spitalgründung oblag ihr die Aufgabe, Operationen vorzubereiten, Narkosen zu geben, zu assistieren, das OP-Besteck zu sterilisieren, die Bettwäsche der Patienten zu waschen und den Haushalt zu führen. Durch ihre Vorträge in Europa, aber auch in den USA trug sie wesentlich zur Finanzierung des Spitals bei. Wegen ihrer TBC-Erkrankung war sie zuweilen öffentlichkeitsscheu, sodass ihr Beitrag häufig nicht gesehen und gewürdigt wurde. Erst gegen Ende ihres Lebens entdeckten Reporter auch ihre Bedeutung für Albert Schweitzer.
Helene Schweitzers Relevanz heute
Ihr Lebensweg macht Mut und kann ein Vorbild für junge Menschen sein
Helenes Lebensweg verdeutlicht: manchmal vergeht eine längere Zeitspanne, bis sich abzeichnet, welche Begabungen und Fähigkeiten zum Tragen kommen sollen. Zuweilen ist es notwendig, dass der junge Mensch etwas ausprobiert, bevor er sich für einen Beruf entscheidet. Wer über verschiedene Talente verfügt, hat es besonders schwer, sich beruflich festzulegen.
Helene kann ein Vorbild sein für Menschen, die sich auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens befinden, krankheitsanfällig sind oder die ein Handicap belastet.
Trotz wiederholter TBC-Schübe gab Helene nie ihr Lebensziel und ihre Ideale auf. Ihr karikatives Engagement in Straßburg bedeutete einen sozialen Abstieg. Damit stieß sie ihre Eltern und Freundinnen zunächst vor den Kopf. Auf das Unverständnis reagierte sie mit Aussprachen im Elternhaus und konsequentem Einsatz im Beruf. So verschaffte sie sich Anerkennung. Mutig und zupackend ließ sie sich auf die Herausforderungen ihres Lebens ein.