Von Werner Zager
Das hundertjährige Jubiläum der Gründung des Albert-Schweitzer-Spitals in Lambarene war ein hervorragender Anlass, sich mit der Entstehung und Geschichte dieses einzigartigen Krankenhauses näher zu befassen. Das geschah in dem vom Deutschen Hilfsverein für das Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene in Kooperation mit dem Evangelischen Regionalverband Frankfurt am Main veranstalteten Symposium „Albert Schweitzer und Lambarene 1913–2013. Mission und Humanität“, das vom 24. bis 26. Mai im Dominikanerkloster in Frankfurt stattfand. Die Leitung hatte Prof. Dr. Werner Zager, Mitglied im Vorstand des DHV.
Zu Beginn des Symposiums wies Dr. Einhard Weber, der Vorsitzende des DHV, auf die einmalige Chance hin, die das Jubiläum bietet, um die für unsere Welt wegweisenden Gedanken Albert Schweitzers neu zur Geltung zu bringen – sei es durch die rund 170 Orgelbenefizkonzerte, damit in Verbindung stehende Vorträge, die Wanderausstellung oder das Symposium. In ihrem Grußwort fand Pfarrerin Esther Gebhardt, die Vorsitzende des Evangelischen Regionalverbands, nicht nur anerkennende Worte für die zahlreichen ehrenamtlichen Aktivitäten des DHV, sondern sah es auch als eine Aufgabe der Kirche an, Kinder und Jugendliche mit dem Lebenswerk und den Ideen Albert Schweitzers vertraut zu machen. Indem dieser lebte, was er lehrte, habe er die Liebe Gottes praktiziert.
Unter der Überschrift „100 Jahre Lambarene. Erbe und Auftrag“ vermittelte Dr. Roland Wolf anhand von eindrücklichen Lichtbildern einen fundierten Überblick über 100 Jahre Spitalgeschichte. Dabei wurden die schwierigen Anfänge ebenso wie die finanziellen, technischen und personellen Herausforderungen thematisiert, vor die sich das heutige Spital gestellt sieht. Als Zeitzeuge sprach Dr. Walter Munz, der zusammen mit seiner Frau Jo, der einstigen Spitalhebamme, nach Frankfurt gekommen war. In bewegenden Worten schilderte er seinen Weg als junger Arzt zu Albert Schweitzer und das Wiedersehen mit dessen Spital im Frühjahr 2013. Munz, der von 1961 bis 1963 als Chirurg bei Schweitzer praktiziert hatte, übernahm auf dessen Wunsch die Leitung des Spitals von 1965 bis 1969, außerdem nochmals in den Jahren 1980/81. „Die Gewohnheiten der Afrikaner möglichst wenig zu stören“, würdigte Munz als einen „Kunstgriff“ Schweitzers, durch den dieser die Ehrfurcht vor dem geistigen Leben der Afrikaner bezeugt habe.
In seinem Vortrag „Zwischen Schopenhauer und Nietzsche: Albert Schweitzers Lebensethik“ ging Prof. Dr. Werner Zager von der an Schweitzer herangetragenen und von ihm aufgegriffenen Charakterisierung seiner „Philosophie der Ehrfurcht vor dem Leben“ als eine „Synthese von Schopenhauer und Nietzsche“ aus. Im weiteren Verlauf seines Vortrags untersuchte er Genese und Gehalt von Schweitzers Ethik, wobei den Bezügen zu den Philosophien Schopenhauers und Nietzsches das besondere Interesse galt. Sein Ergebnis: Schweitzer zufolge besteht das Ethische weder in Lebensverneinung (so Schopenhauer) noch in Lebensbejahung (so Nietzsche), sondern ist eine „rätselhafte Verbindung beider“. Mit seiner eigenen ethischen Konzeption stellt er die Schopenhauer’sche Ethik in den Horizont der Lebens- und Weltbejahung hinein, während er sich mit dem ethischen Grundprinzip der Ehrfurcht vor allem Leben zu Nietzsche eindeutig als Antipode verhält.
Prof. Dr. Peter Gottfried Kremsner, Direktor des Instituts für Tropenmedizin an der Universität Tübingen, berichtete über die Arbeit des seit über zwei Jahrzehnten von ihm geleiteten Forschungslabors des Albert-Schweitzer-Spitals in Lambarene. Dieses beschäftigt sich richtungsweisend in Kombination von Lehre, Krankenversorgung und Forschung mit der Eindämmung von Infektionskrankheiten, insbesondere der Malaria. Dazu gehören die Entwicklung neuer und besser wirkender Medikamente zur Behandlung von Malaria sowie die Untersuchung noch nicht zugelassener präventiver Impfstoffe. Als eine große Chance bezeichnete Kremsner die am 6. Juli vonseiten des Staates Gabun erfolgende Gründung einer Universitätsklinik in Lambarene. Diese soll einmal ca. 30 Gebäude umfassen und neben dem Albert-Schweitzer-Spital weitere Spitäler in der Umgebung miteinschließen, wobei der Forschungsschwerpunkt auf den Infektionskrankheiten liegen wird.
Ganz neue Einblicke in die Frühzeit des Lambarene-Spitals vermittelte der Vortrag von Dr. Roland Wolf über die spannungsreiche Beziehung von Albert Schweitzer und der Pariser Mission. Die sich über viele Jahre hinziehenden Auseinandersetzungen hingen nicht zuletzt mit der in den Augen des Missionskomitees recht unorthodoxen liberalen Theologie Schweitzers zusammen.
Einen besonderen Akzent setzte das Orgelkonzert am Samstagabend von Prof. Martin Lücker zusammen mit dem Frankfurter Figuralchor in der Dreikönigskirche, in dem Lücker Schweitzers Orgelkonzert vom 28. Oktober 1928 nachspielte. Mit diesem historischen Konzert sollte ein Mensch geehrt werden, der Musik, Theologie und Humanität auf beispielsetzende Weise verband.
Ausgehend von Vers 4 – „Du (mein Gott) bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels“ – des 22. Psalms, der in den Gottesdiensten am Karfreitag 1913, dem Tag der Ausreise Helene und Albert Schweitzers nach Afrika, gelesen wurde, entfaltete Propst Dr. Sigurd Rink in seiner Predigt im Festgottesdienst in der Heiliggeistkirche das Verhältnis von Gottesdienst und Musik. Dabei kam Schweitzers Musikverständnis eindrucksvoll zur Sprache.
Wegen ihres medizinischen Staatsexamens konnte Dr. Isgard Ohls ihren Vortrag über Schweitzers ethisches Missionsverständnis in seiner gegenwärtigen Bedeutung leider nicht selbst halten. Ihr Text musste deshalb vorgelesen werden. Darin begriff sie Lambarene als ein „Gesamtkunstwerk unter der ethischen Prämisse Lembareni (= Wir wollen es versuchen!)“, als ein Symbol, das über sich hinausweisen und jeden Menschen anregen soll, sein eigenes Lambarene zu finden.
Das Symposium klang aus mit einer von Dr. Gottfried Schüz moderierten Podiumsdiskussion, in die sich auch die übrigen Tagungsteilnehmer einbringen konnten. Insgesamt lässt sich sagen, dass das Symposium wertvolle Einsichten zum Thema „Albert Schweitzer und Lambarene“ eröffnet hat, die sich auf unser aller Engagement für die Zukunft des Albert-Schweitzer-Spitals positiv auswirken dürften.