Der Mutter-Kind-Dienst: heute wie morgen unverzichtbarer Bestandteil des Schweitzer-Spitals
Von Roland Wolf
Vierzig Jahre ist es nun her, dass sich die Weltgesundheitsorganisation die Gesundheit für alle zum Ziel gesetzt hatte, eine allgemein verfügbare und für alle erschwingliche Gesundheitsversorgung innerhalb des Gemeinwesens. Eine der Maßnahmen, die zu diesem Ziel führen sollten, war die Gesundheitsversorgung von Müttern und Kindern einschließlich Maßnahmen zur Familienplanung.
In diesem Sinne startete das Albert-Schweitzer-Spital im Jahre 1999 das „Santé communautaire“ (Gesundheit im Gemeinwesen) genannte Projekt. Durch die regelmäßige Betreuung und Stärkung von Krankenstationen (Dispensaires) in Lambarene und Umgebung sollte eine bevölkerungsnahe ambulante Erstversorgung und Gesundheitsvorsorge geleistet und damit auch das Krankenhaus entlastet werden.
Nachdem die finanzielle Unterstützung durch den Staat ausblieb und die verantwortliche Ärztin in das Regierungskrankenhaus wechselte, musste die Aktivität des Dienstes neu organisiert werden. Auch wenn die Krankenschwestern des Mutter-Kind-Schutzes PMI (Protection maternelle et infantile) nun nur noch gelegentlich über ärztliche Begleitung verfügen können, halten sie ihren Rhythmus von zwei Ausfahrten pro Woche bei. Ziel sind zehn Krankenstationen in bis zu 50 Kilometern Entfernung vom Spital, die zwischen sieben und neun Mal im Jahr besucht werden.
Diese Krankenstationen sind staatliche Einrichtungen, die leider wie das öffentliche Gesundheitssystem im Allgemeinen in einem desolaten Zustand sind. Das trifft nicht nur auf den baulichen Zustand zu, sondern auch auf die Versorgung mit Medikamenten und staatlich geprüftem Pflegepersonal. Allzu oft stehen die Patienten aus diesen Gründen vor verschlossener Tür und müssen in ernsten Fällen den weiten und teuren Weg mit dem Buschtaxi nach Lambarene auf sich nehmen.
Das jeweils beim vorigen Besuch angekündigte Kommen des mobilen PMI-Dienstes aus dem Schweitzer-Spital ist deshalb für alle Mütter mit Kleinkindern höchst willkommen und eine Gelegenheit, sich wie bei einem besonderen Ereignis herauszuputzen.
Schon bevor der Pickup des Spitals die Buschambulanz erreicht, rufen Krankenschwestern und Chauffeur laut aus dem Autofenster „He, die PMI ist da. He, bringt eure Kinder!“ Und dann eilen aus allen Winkeln Frauen mit Kleinkindern herbei und lassen sich im Schatten des Gebäudes oder auch eines daneben stehenden Mango- oder Pampelmusenbaumes nieder.
Eine Krankenschwester befestigt eine mit einer Tragevorrichtung versehene Waage am Türrahmen oder hängt sie an den Ast eines Baumes. Größere Kinder, die schon stehen können, werden auf der Bodenwaage gewogen. Das Gewicht sowie der allgemeine Gesundheitszustand werden in ein Register eingetragen, der Besuch in dem von den Müttern mitgeführten Gesundheitsbuch vermerkt. Dort sieht sie auch, ob eine Impfung notwendig ist. Diese ist kostenlos, da der Fünffach-Impfstoff im Rahmen eines staatlichen Programms für alle Kinder bis zu 18 Monaten zur Verfügung gestellt wird.
Für die Untersuchung und die eventuell verabreichten Medikamente ist nur ein kleiner Betrag von umgerechnet 3 Euro fällig. Das ist ein Anreiz für die Mütter, die sich den Weg nach Lambarene sparen, und zugleich eine Entlastung für die Ambulanz des Krankenhauses.
Während am großen Tisch die Arbeit routiniert weiter geht, beginnt eine Schwester in der anderen Hälfte des Raumes oder vor dem Gebäude mit der Unterweisung der Mütter. Da geht es um Malaria, Aids, Tuberkulose, Ernährung oder zum Beispiel um die Krankheiten, die von Würmern übertragen werden. Große Schautafeln zeigen hier den Weg des Wurms vom Eintritt in die Haut bis ins Blut. Im rhythmischen Wechsel wird die Botschaft in einfachen Sätzen von der Schwester vorgetragen, von den Zuhörern wiederholt. Absichtlich unvollendete Aussagen werden vervollständigt, wichtige Regeln mit Klatschen verstärkt. Alles in der Hoffnung, dass fortan die Kinder nicht mehr barfuß zum Früchtesammeln in den Wald geschickt werden.
Ist der Andrang groß, sind die Krankenschwestern bis zum Nachmittag beschäftigt, bevor das Auto beladen und der Rückweg nach Lambarene angetreten wird. In einigen Tagen werden sie in einem anderen Dorf sein, in vier bis sechs Wochen wieder an der heute besuchten Stelle. Und an den übrigen Tagen halten sie die Sprechstunde im Spital ab.
Das schwach bevölkerte Land Gabun hat seit Jahrzehnten eine aktive Geburtenpolitik betrieben und aus diesem Grund Verhütungsmittel verboten. Angesichts der Ausbreitung von Aids und Geschlechtskrankheiten wurde aber schließlich Anfang dieses Jahrhunderts der Gebrauch von Präservativen empfohlen. Dies konnte jedoch nicht die Zahl der unerwünschten Schwangerschaften verhindern, die allzu oft Jugendliche im Schulalter betreffen und dann nicht selten zu heimlichen Abtreibungen führen. Und so landen auch jedes Jahr mehrere Dutzend junge Frauen nach missglückten Abtreibungsversuchen in der Notaufnahme des Schweitzer-Spitals.
Diese frühen Schwangerschaften sind nicht nur gefährlich für die Gesundheit der jungen Frauen und der Neugeborenen, sondern setzen auch oft der schulischen Ausbildung ein vorzeitiges Ende und vergrößern die prekäre wirtschaftliche Lage der Familie.
Hier bietet sich dem Mutter-Kind-Dienst eine wichtige Aufgabe der Prävention durch die Sensibilisierung und Information der jungen Mütter. Denn Sensibilisierung, also Information und Erziehung zur Geburtenkontrolle sind die beste Vorbeugung gegen heimliche Abtreibungen, sekundäre Sterilität und die zahlreichen physischen und sozialen Probleme von Mutter und Kind.
Nach übereinstimmender Meinung von Stiftungsrat und Direktion soll der Mutter-Kind-Dienst auch in Zukunft eine große Rolle spielen. Im Rahmen der notwendigen Neuausrichtung des Spitals soll er Bestandteil eines zentralen Entwicklungspols werden, der außer ihm die bereits bestehenden Abteilungen Schwangerschaftsuntersuchungen, Geburtsklinik und Kinderklinik umfasst sowie einen neu einzurichtenden Informations- und Untersuchungs-Dienst zum Thema Familienplanung. Kinder, die an Buruli-Geschwüren, Eingeweidebrüchen, Verbrennungen oder Unfallfolgen leiden und im Spital operiert wurden, sollen ebenfalls in diesen Sektor integriert und dort gemeinsam von Chirurgen und Kinderärzten betreut werden.
Dieses MOME (Moyen Ogooué Mère Enfant, d.h. Mittlerer Ogowe-Mutter-Kind) genannte Projekt, das die Bereiche vereint, in denen das Albert-Schweitzer-Spital über ausgewiesene und auch national anerkannte Kompetenzen verfügt, lässt eine räumliche Gruppierung der Dienste und bauliche Veränderungen notwendig erscheinen. Denn bisher sind der Mutter-Kind-Dienst und die Schwangerschaftsuntersuchungen zusammen mit dem Spitalladen in einem Gebäude auf dem Weg zur Historischen Zone untergebracht.
Dazu soll zunächst die derzeitige Chirurgie 2 in das seit dem Neubau der Entbindungsklinik leer stehende Gebäude der ehemaligen Chirurgie 1 verlegt werden. Im frei werdenden Gebäude der Chirurgie 2, das sich in Nachbarschaft der Entbindungsklinik und der Kinderklinik befindet, sollen dann der Mutter-Kind-Dienst, die Schwangerschaftsberatung, eine Informationsstelle zur Familienplanung und eventuell eine kleine Einheit der Kinderchirurgie untergebracht werden. Somit wären alle Sektoren, die sich mit Müttern und Kindern beschäftigen, in räumlicher Nähe.
In den ehemaligen Räumen des Mutter-Kind-Dienstes und der Schwangerenberatung könnte ein großer Versammlungsraum entstehen, der zurzeit fehlt. Das dafür genutzte kleine Gebäude zwischen Kinderklinik und Entbindungsstation könnte als Bibliothek für die an Buruli oder Sichelzellenanämie leidenden Kinder genutzt werden, die oft lange Wochen oder gar Monate im Spital verbringen müssen.
Der Deutsche Hilfsverein hatte 1999 das Projekt der Gesundheit im Gemeinwesen mit angeschoben und viele Jahre finanziert. Seit einigen Jahren engagiert er sich auch stark für die an Buruli erkrankten Kinder, deren Eltern die langen Behandlungen nicht oder nur zum Teil bezahlen können. Deshalb ist es uns ein besonderes Anliegen, dieses Projekt zu unterstützen. Wir hoffen dazu auf Ihre Unterstützung.