Dennoch! Stiftung DASZ Aktuell 2022

Dennoch!

Ehrfurcht vor dem Leben ist doch nur etwas für unverbesserliche Idealisten. Ein frommer Wunsch, ein edler Gedanke, der im heutigen Überlebenskampf auf Schritt und Tritt zum Scheitern verurteilt ist.“- So oder ähnlich lautet eine verbreitete Meinung, die sich auf „harte Tatsachen“ berufen kann: Ungebremste Vernichtung der Regenwälder, fortschreitendes Artensterben, erbarmungslose Ausbeutung lebenswichtiger Ressourcen, wachsende Zahl an Millionären bei gleichzeitiger Zunahme von Armut, Hunger und Elend …, um nur einige Stichworte zu nennen.

Ist Albert Schweitzers ethischem Ideal in unserer krisengeschüttelten, von Äußerlichkeiten bestimmten Welt nicht endgültig der Bankrott erklärt? Bleibt das Streben nach einer „materiellen und geistigen Vervollkommnung der Menschen, der Gesellschaft und der Menschheit“, wie es Albert Schweitzer in seiner „Kulturphilosophie“ 1923 gefordert hatte, nicht Illusion? Wird die „Harmonie des Lebens“ nicht fortwährend durch „grausige Dissonanzen“ vergällt? Ist es nicht realistischer, sich auf die Seite der Pessimisten zu schlagen, die, statt von einer besseren Welt zu träumen, sich pragmatisch mit den hinfälligen Gegebenheiten arrangieren?

Schweitzer war keineswegs blind für die problematische Lage der Menschheit. Im Gegenteil. Er bekannte unumwunden: Im nüchternen Erkennen der Gefährdungen des Lebens „bin ich pessimistisch“. Und doch kommt er andererseits zu dem Schluss: „Pessimismus“ ist „Weltanschauung in Form einer Todesanzeige“ – nämlich dann, wenn das Elend und Übel der Welt uns allen Lebensmut rauben und wir der Hoffnungslosigkeit verfallen. Verheerend ist es also, dem Pessimismus und der Sinnlosigkeit des Weltgeschehens das letzte Wort zu überlassen. Und so kommt Schweitzer zu der Feststellung: „mein Erkennen (ist) pessimistisch“ aber „mein Wollen und Hoffen optimistisch.“

Albert Schweitzer zeigte einem Freund bei einem Spaziergang in der Nähe seines elsässischen Heimatortes Günsbach einen Baum, der vom Sturm niedergebrochen war und doch begann, wieder grüne Zweige auszutreiben. Schweitzer konnte verhindern, dass der Baum entfernt wurde. Seinem Freund erklärte er: „Das ist mein philosophischer Baum, denn er lehrt das Dennoch“.

Den Gedanken des „Dennoch“ stellte der Philosoph und Pädagoge Eduard Spranger als „die Wurzel des Idealismus“ heraus. In dessen (und auch in Schweitzers) Sicht bildet die beklagenswerte Wirklichkeit „gleichsam das Ufer, von dem man sich mit dem Ruder abstößt“. Um sich aber nicht im Uferlosen zu verlieren, bedarf es der humanitären Ideale, an denen wir uns orientieren können. Durch sie bekommt unser Tun und Lassen Sinn und Ziel. Nur durch sie hat jeder von uns eine Chance, das, was im guten Sinne noch nicht ist, zu dem umzugestalten, was an Lebens- und Liebenswertem sein soll.

Durch dieses „Dennoch“ sehen wir uns der „Ehrfurcht vor dem Leben“ verpflichtet – gerade weil sie der einzige Kompass ist, der uns angesichts aller Widrigkeiten und Trostlosigkeit den Weg zu einer besseren Welt in uns und um uns weisen kann.

In dieser Perspektive sind auch unsere Bemühungen in der „Stiftung Deutsches Albert-Schweitzer-Zentrum“ zu sehen, das ethisch-geistige Erbe Albert Schweitzers in Umlauf zu halten, zu denen diese Ausgabe von „Stiftung Aktuell“ einige Einblicke gibt. Wir danken Ihnen von Herzen, dass Sie uns für diese wichtige Arbeit unterstützen.

Mit herzlichen Grüßen,
Ihr Dr. Gottfried Schüz, Vorsitzender der Stiftung Deutsches Albert-Schweitzer-Zentrum Frankfurt/M.

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