Das neue Boot

Von Roland Wolf

Boote spielen in der Geschichte des Albert-Schweitzer-Spitals von Anfang an eine große Rolle. Dazu zunächst ein Rückblick in die Anfangszeit in Lambarene.

Als Schweitzer im April 1913 dem Flussdampfer Alembe entstieg, war es „ein langes, schmales Kanoe, von lustig singenden Knaben gerudert“, das ihn von der Anlegestelle zur in einem Nebenarm des Ogowe gelegenen Missionsstation beförderte, wo er sein erstes Krankenhaus errichten sollte. Dem Neuankömmling und seiner Frau war dabei alles andere als behaglich zumute, denn „da diese Boote nur aus einem ausgehöhlten Baumstamm bestehen und sehr flach und schmal gebaut sind, kommen sie bei der geringsten Bewegung aus dem Gleichgewicht“. Nach und nach überwanden die Schweitzers ihre Ängstlichkeit und konnten die Fahrt genießen.

Die Sorge war aber groß, als es darum ging, die mit dem nächsten Dampfer ankommenden siebzig Kisten und vor allem das schwere Klavier mit Orgelpedal zu transportieren. Eine Faktorei lieh Schweitzer jedoch ein „aus einem gewaltigen Baumstamm gehauenes Kanoe, das an die drei Tonnen tragen konnte“, und das Klavier gelangte sicher zur Missionsstation.

Dort hatte Schweitzer begonnen, am Fuß des mittleren Hügels der Station sein Spital zu bauen. Dieser Beschluss bedurfte jedoch der Bestätigung durch die Missionarskonferenz, die Ende Juli 1913 nach Samkita einberufen wurde, das etwa sechzig Kilometer stromaufwärts lag. Schweitzer schildert die Fahrt folgendermaßen: „An einem nebligen Morgen, zwei Stunden vor Tag, fuhren wir ab. Im vorderen Teile saßen die zwei Missionare und ich hintereinander auf Liegestühlen. Der mittlere Raum wurde von unseren Blechkoffern, den zusammengelegten Feldbetten, den Schlafmatten und dem aus Bananen bestehenden Reiseproviant der Schwarzen eingenommen. Hinten standen die zwölf Ruderer in zwei Reihen zu sechsen hintereinander. Sie sangen, wohin die Reise ging und wer an Bord sei. Zugleich flochten sie klagende Bemerkungen ein, dass sie so früh an die Arbeit müssten und einen so schweren Tag vor sich hätten. Für die sechzig Kilometer stromaufwärts bis Samkita rechnet man gewöhnlich zehn bis zwölf Stunden. Da das Boot sehr schwer beladen war, mussten noch einige darüber hinaus in Anschlag gebracht werden“.

Bei seinem zweiten Aufenthalt in Lambarene ab 1924 waren es vor allem die Bauarbeiten, die Schweitzer vom Operationstisch ins Boot zwangen. Für die Suche nach Bambusstangen und Blätterziegeln, um die Dächer der seit fast sieben Jahren leer stehenden und stark beschädigten Gebäude zu reparieren, musste er sich sogar Boote bei den Eingeborenen leihen. Damit war es vorbei, als er an Pfingsten in Samkita das von Missionar Morel für ihn bestellte Boot abholte und nun zum ersten Mal über ein eigenes verfügte. Kurz darauf erhielt die Missionsstation ein starkes Motorboot, das Schweitzer für den Transport seiner Ausrüstung nutzen konnte.

Der Januar 1925 markiert einen neuen Abschnitt. Auf der Rückkehr von Einkäufen nach Einbruch der Nacht waren Schweitzer und seine Pflegerin Mathilde Kottmann nur knapp einem Unfall mit dem Boot entgangen, als am Tag danach das von schwedischen Freunden gestiftete erste Motorboot des Spitals ankam. Achteinhalb Meter lang und eineinhalb Meter breit konnte es bis eine Tonne tragen und erreichte mit seinem dreieinhalb PS starken Motor bei einem Verbrauch von nur anderthalb Liter Benzin bis zu zwölf Kilometer in der Stunde. Ein Segeltuchdach bot Schutz gegen Regen und Sonne. Begeistert zählt Schweitzer die weiteren Vorteile auf: „Sodann sind wir jetzt der Aufregung ledig, die man mit dem Zusammenbringen, dem Zusammenhalten, der Beköstigung und der Entlohnung von Rudermannschaften hat. Auch können wir in dem Motorboot viel größere Lasten befördern als im Ruderkanoe. Das schönste aber ist, dass die Fahrt mit dem Motorboot nicht, wie man meinen sollte, teurer, sondern billiger zu stehen kommt als mit dem Ruderkanoe. Eine Reise, für die wir bisher fünf Tage brauchten, führen wir jetzt in zweien aus. Was wir den Ruderern an Nahrung und Löhnung und Geschenken bieten mussten, ist bedeutend mehr als die Ausgaben für Benzin und Öl“. Das Boot erhielt den Namen „Tack Sa Mycket“, was auf Schwedisch „danke schön“ bedeutet.

Machen wir einen Sprung in die Gegenwart. Das jetzige Boot des Spitals trägt die Inschrift „Hôpital Albert Schweitzer“ und die Nummer LA 351. Es befördert bis zu acht Personen und dient vor allem als Ausflugsboot für die Touristen, die die Flusslandschaft des Ogowe und die Seen der Region bewundern wollen. Daneben steht es dem Mutter-Kind-Dienst PMI zur Verfügung, denn drei der zwölf regelmäßig besuchten Ambulanzstationen sind nur auf dem Wasserweg zu erreichen.

Mittlerweile ist das Boot über zwölf Jahre alt und zeigt deutliche Verschleißerscheinungen. Sein Fassungsvermögen erlaubt auch nicht, größere Gruppen zu transportieren, sodass dann ein zweites Boot angemietet werden muss, was die Fahrten verteuert und von anderen Bootsführern abhängig macht. So entstand die Idee, ein neues, größeres Boot anzuschaffen.

Als Spitaldirektor Nziengui im Juni in Frankfurt weilte und berichtete, dass noch keine Finanzierung gefunden worden war, ergriff der Deutsche Hilfsverein für das Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene die Gelegenheit zu schnellem und wirksamem Handeln. Auf meinen Vorschlag hin beschloss der Vorstand in seiner Sitzung Anfang Juli, das neue Boot einschließlich Motor, Sitzbänken, Rettungsring und zehn Schwimmwesten zu finanzieren. Nur vier Tage später fuhr der Spitaldirektor mit dem bewährten Bootsführer Yaya nach Libreville, um es zu kaufen, und am Tag danach stand es bereits im Spital. Die zweite in Lambarene weilende Besuchergruppe aus Deutschland konnte es bei einem Ausflug zur ehemaligen Missionsstation Ngomo, von der Albert Schweitzer Holz für den Bau seines Spitals bezogen hatte, einweihen.

Zuvor fand allerdings eine kleine Taufzeremonie statt, bei der das Boot den Namen „Respect de la vie“ (Ehrfurcht vor dem Leben) erhielt. Nach afrikanischer Sitte wurden dabei auch die Flussgeister beschworen und mit einer Flasche Schaumwein und etwas Orangenlimonade um Schutz von Boot und Besatzung gebeten.

Die erste Ausfahrt verlief dann auch ohne Probleme, und die Besucher konnten unterwegs Flusspferde, Pelikane und zahlreiche andere Vogelarten bewundern und sich bei einem Picknick auf einer kleinen Insel im Onangue-See entspannen. Nach der Besichtigung der ehemaligen Missionsstation Ngomo erfolgte die Rückfahrt nach Lambarene deutlich schneller und bequemer als mit dem alten Boot.

Zwei Tage später hatte das Boot seinen nächsten Einsatz. Wir begleiteten den Mutter-Kind-Dienst nach Bellevue, das gut eine Bootsstunde von Lambarene entfernt am Ufer des Ogowe-Nebenflusses Ngounié liegt. Wie an den anderen im Sechs-Wochen-Rhythmus betreuten Orten wurden die Kleinkinder untersucht, geimpft und eventuell auch ambulant behandelt, die Mütter über AIDS informiert und in der einfachen Zubereitung von abwechslungsreicher Kindernahrung unterwiesen. Eine funktionierende staatliche Ambulanz gibt es in Bellevue nicht, sodass der Besuch des Teams aus dem Schweitzer-Spital, das am Flussufer im Schatten einiger Bäume zu Werke geht, höchst willkommen ist. Das neue Boot gewährleistet, dass die Fahrt nach Bellevue wie auch nach Lezinda und zur seit kurzem betreuten Ambulanz am Ezanga-See schnell und sicher vonstattengeht.