Von Stella Bartels-Wu
Individuell und menschheitsbezogen gibt es wohl kaum eine Frage, die so leidenschaftliche Antworten produziert, wie jene nach einem gelingenden Leben. Was das sein könnte, ein „gelingendes“ Leben, das hängt sicher vom eigenen Denk- und Erfahrungshorizont ab. Um so erstaunlicher ist es, dass zwei Menschen, die sieben Jahrhunderte voneinander trennen, zu ähnlichen Antworten fanden: Albert Schweitzer (1875-1965) und Franz von Assisi (1181/1182-1226). Der Albert-Schweitzer-Kenner Dr. Gottfried Schüz und Franziskanerpater Helmut Schlegel, Leiter des Frankfurter Meditationszentrums Heilig Kreuz, zeichneten bei einem Themenabend am 18. September im Haus am Dom auf Einladung des Deutschen Albert-Schweitzer-Zentrums und der Katholischen Erwachsenenbildung Frankfurt diese Parallelen nach.
Prägend für das Handeln und Denken von Schweitzer und Franziskus war eine ehrfurchtsvolle Grundhaltung vor der Schöpfung. Beide Männer hatten durch ihre Elternhäuser die Möglichkeit, gesellschaftlich angesehene Positionen einzunehmen. Schweitzer war auf dem Weg zu einer beachtlichen Karriere als Hochschullehrer und Konzertorganist. Franz von Assisis Familie gehörte zum aufstrebenden Bürgertum seiner Heimatstadt und Franz hätte ein Vermögen erwerben können, wenn er in die Fußstapfen seines Vaters, eines Tuchhändlers, getreten wäre. Doch sowohl bei Franz als auch bei Schweitzer führte eine leidenschaftliche, durch mystische Erlebnisse gestärkte Identifizierung mit der leidenden Kreatur dazu, dass sie den Weg des einfachen Erfolgs verließen. Für sie stand außer Frage: Dem Schöpfer, dem sie ihr Sein zu verdanken hatten und der ganz offensichtlich allen Lebewesen das gleiche Maß an Liebe zukommen läßt, sind sie eine unmittelbare Antwort schuldig. Sie gaben sie in einer persönlichen Jesus-Nachfolge. Schweitzer, der als liberaler Theologe um die Glaubensschwierigkeiten heutiger Menschen wußte, war es ein besonderes Anliegen, seine religiöse Grunderfahrung auch für religiös skeptische Menschen in dem Konzept der „Ehrfurcht vor dem Leben“ zugänglich zu machen.
Für beide, Schweitzer und Franziskus, bedeutete die mystische Erfahrung aber zunächst, einen neuen Weg einzuschlagen: Schweitzer gründete unter Aufgabe seiner Hochschullaufbahn sein weltberühmtes Krankenhaus in Lambarene, Franz von Assisi schlug das Erbe seines Vaters aus, gab diesem buchstäblich die Kleidung, die er am Leib trug, zurück, und wurde zum Gründer eines Bettelordens.
Dieser „Karriereknick“ beider Männer führte zu einer inneren Weite der Persönlichkeit, die interessanterweise auch im Äußeren ihren Widerhall fand: So wie Franziskus wegweisend für die Armutsbewegung in der katholischen Kirche des Mittelalters wurde, so wurde auch Schweitzer rund um den Globus zu einem Symbol für das Engagement für Frieden und soziale Gerechtigkeit. In diesem Engagement, das das Selbst überschreitet und sich dem Nächsten und der Schöpfung zuwendet, liegt die große Chance, eine Einheit von Spiritualität und Handeln zu ermöglichen. Sie läßt spüren: es gibt ein „Mehr“ als nur den gesellschaftlichen Erfolg. Insofern, so zeigten die Referenten, eint Schweitzer und Franziskus ihr Ansatz für ein „Gelingen des Lebens“.