Der Kulturphilosoph Albert Schweitzer
„Wahre Kultur ist etwas Geistiges und Ethisches, nämlich die edelste und tiefste Menschlichkeit“.
Schon den 25-jährigen Albert Schweitzer bedrückte die Sorge um die allgemeine Kulturentwicklung zur Jahrhundertwende. Äußerlich schien dazu wenig Grund:
Wissenschaftliche Entdeckungen und technische Erfindungen, der Zuwachs an Wissen und Können erfüllte die Menschen mit großem Zukunftsoptimismus. Auch in geistig-kultureller Hinsicht war man von einer entsprechenden Besserung der Lebensverhältnisse allgemein überzeugt. Dies hielt der junge Schweitzer jedoch für einen Trugschluss. Näher betrachtet, war mit dem materiellen Fortschritt keineswegs eine Besserung der menschlichen Gesellschaft einhergegangen; im Gegenteil: Ein zunehmender „Verfall der Kultur“ war zu beobachten, der durch die Katastrophe des ersten Weltkrieges eine ruinöse Bestätigung erhalten sollte.
„Wir stehen im Zeichen des Niedergangs der Kultur“, so leitet Schweitzer seine Kulturphilosophie ein, um fortzufahren: „Der Krieg hat diese Situation nicht geschaffen. er selber ist nur eine Erscheinung davon“.1 Und im weiteren Verlauf seiner Kulturkritik kommt er zu der alarmierenden Feststellung: „Ein Unfreier, ein Ungesammelter, ein Unvollständiger, ein sich in Humanitätslosigkeit Verlierender, ein seine geistige Selbständigkeit und sein moralisches Urteil an die organisierte Gesellschaft Preisgebender: so zog der moderne Mensch seinen dunklen Weg in dunkler Zeit.“ Die Weltlage, in der wir uns heute befinden, könnte kaum treffende umschrieben werden.
Auch in der Abgelegenheit des Afrikanischen Urwaldes ließ Albert Schweitzer die bedrückende Sorge um den Kulturverfall nicht los. Neben seiner ärztlichen Tätigkeit und dem Aufbau des Spitals trieb ihn innerlich fortwährend die Frage um, auf welcher Grundlage ein „Wiederaufbau der Kultur“ möglich wäre. Denn eines war ihm grundsätzlich klar geworden: Eine Kultur und Gesellschaft, die ihr Heil allein im wissenschaftlich-technischen Fortschritt sucht, ist zum Scheitern verurteilt. Was allein die Menschheit retten kann, ist eine ethisch-geistige Erneuerung von Grund auf. Nicht das materielle Wohl, sondern das geistige Wohl des Ganzen und der Vielen muss bestimmend werden. „Der ethische Fortschritt ist also das Wesentliche und Eindeutige, der materielle das weniger Wesentliche und das Zweifelhafte in der Kulturentwicklung.“ Wie aber kann sich die Kultur im ethischen Sinne erneuern?
„Die große Revision der Überzeugungen und Ideale, in denen und für die wir leben, kann sich nicht so vollziehen, dass man in die Menschen unserer Zeit andere, bessere Gedanken hineinredet als die, die sie haben. Sie kommt nur so in Gang, dass die Vielen über den Sinn des Lebens nachdenkend werden …“
[Albert Schweitzer: Kulturphilosophie Bd. 1, München 2007, S. 69f.]
Das Ergebnis seines Denkens legte Schweitzer in zwei Bänden seiner „Kulturphilosophie“ erstmals 1923 vor, die er später weiter ausarbeiten sollte. Dies dokumentieren insbesondere die inzwischen veröffentlichten umfangreichen Nachlassbände der „Kulturphilosophie III“ sowie der Band „Wir Epigonen“.
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