Der dreifache Neubau des Spitals
Im Spätherbst 1913 konnte der Hühnerstall als Behandlungsraum durch eine 8 Meter lange und 4 Meter breite Wellblechbaracke am Ufer des Ogowe ersetzt werden. Es folgten größere Bambushütten zur Unterbringung der eingeborenen Kranken.
Bei allen Bauarbeiten zur Erweiterung des Spitals war Schweitzer stets Architekt und Vorarbeiter in einem. Nur wenn er selbst mit Hand anlegte, waren seine schwarzen Bauhelfer zur Mitarbeit zu bewegen. Im Ersten Weltkrieg wurden Albert und Helene Schweitzer in der französischen Kolonie Gabun als feindliche Ausländer betrachtet und daher 1917–18 in Frankreich gefangengesetzt. Es folgten weitere schwere Jahre im Elsass, in denen es aber gelang, für eine Rückkehr nach Lambarene über Konzerte und Vorträge, vor allem in Schweden, das nötige Geld zu sammeln. Im Frühjahr 1924 kehrte Schweitzer nach Lambarene zurück, um das inzwischen zerstörte Spital wieder aufzubauen. Währenddessen verdreifachte sich die Patientenzahl auf 150, was bereits 1925 ein neues Spital drei Kilometer stromaufwärts notwendig machte, diesmal aus beständigen Wellblechbauten. Um das neue, nunmehr „dritte“ Spital herum legte er ferner einen Garten zur Unterstützung der stets knappen Nahrungsversorgung an. 1927 wurde das Spital endlich bezugsfertig.
Ein ganz normaler 17-Stunden-Tag
„In Afrika war er zu einem Drittel Arzt, zu einem Drittel Baumeister, zu einem Drittel Schriftsteller mit musikalischem Nachtgebet in Toccaten und Fugen von Bach“. In Streitfällen betätigte er sich zudem als Dorfrichter und sonntags als Prediger. Der Vormittag galt in der Regel der ärztlichen Arbeit im Spital. Die Nachmittage waren mit dem Ausroden des Waldes, dem Aufbau neuer Krankenbaracken oder dem Anlegen von Plantagen und Wegen ausgefüllt. Nach dem Abendessen arbeitete er, wenn der Tag nicht zu anstrengend war, an seiner Kulturphilosophie. Schließlich verbrachte er halbe Nächte mit dem Beantworten von Briefen aus aller Welt, die sich säckeweise ansammelten – und dies mit einer von seiner Mutter ererbten „Schreibkrampfhand“. Die Mittagspause und Sonntagnachmittage nutzte Schweitzer zum Üben auf seinem Tropenklavier.
Das Spital wird tropentauglich
Die Krankenbaracken wusste Schweitzer in aller Einfachheit auf das Zweckmäßigste an das tropische Klima anzupassen: „Die Fußböden sind aus Zement. Die Fenster sind sehr groß und gehen bis unter das Dach. Damit ist gegeben, dass die heiße Luft sich nicht unter dem Dach sammelt, sondern entweichen kann. Jedermann ist erstaunt, wie kühl es bei mir ist, obwohl Wellblechbaracken in den Tropen als unerträglich heiß verschrien sind. Fenster aus Glas gibt es nicht, sondern nur feine Drahtgitter gegen Moskitos. Holzläden sind notwendig, der Gewitter wegen. Auch die Ausrichtung der Spitalgebäude hat Schweitzer mit Bedacht gewählt.
„Alle Gebäude sind ungefähr in der Richtung von Ost nach West orientiert, damit die Sonne immer über ihrem Giebel dahinzieht und sie nie die Flanke trifft.“
„Zum ersten Male, seitdem ich in Afrika wirke, sind meine Kranken menschenwürdig untergebracht. (…) Tiefbewegt gedenke ich der Freunde des Spitals in Europa. Im Vertrauen auf ihre Hilfe durfte ich die Verlegung des Spitals wagen und die Bambushütten durch Wellblechbaracken ersetzen.“
„Den ersten Abend im neuen Spital werde ich niemalsvergessen. Von allen Feuern und aus allen Moskitonetzen schallt mir entgegen: ‚Das ist eine gute Hütte, Doktor, eine gute Hütte!’“
Ein Spitaldorf für Mensch und Tier
Das neue Spital wird ein wirkliches Dorf. Neben den Patienten mussten immer auch deren Familienangehörige mit beherbergt werden, von denen sie über die Wasserwege in Pirogen ins Spital gebracht und nach deren Genesung wieder heimtransportiert werden konnten. Zudem sorgten die Familien für die Ernährung ihrer kranken Angehörigen. „Jeden Morgen werden Freiwilligengruppen gebildet, um für den Unterhalt des Hospitals zu arbeiten. Die Frauen werden beauftragt, Palmöl zu pressen, die Wäsche zu waschen und im Garten zu arbeiten. Die Männer jäten das Unkraut in den Pflanzungen und leisten andere Dienste.
Lambarene war immer auch Heim- und Pflegestätte für elternlose, zugelaufene oder verletzte Tiere. Ziegen, Hühner, Antilopen, Pelikane, verwaiste Affen, Papageien, junge Wildschweine und viele andere Tiere ob groß oder klein genossen Gastrecht im Spitalgelände. Viele zog Schweitzer mit der Milchflasche eigenhändig auf, die ihm zu seinen Füßen oder auf dem Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer Gesellschaft leisteten. Die Gemeinschaft von Mensch und Tier im Spital war eine alltäglich gelebte Praxis der Ehrfurcht vor allem Leben.
„Gelebte Ehrfurcht vor dem Leben ist Gottesdienst.“
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