von Dr. Gottfried Schüz
Vortrag am 05.11.2021 im Haus des Gastes in Königsfeld/Schww.
im Rahmen der Albert-Schweitzer-Tage 2021 zum Thema
1. Schweitzers abschließendes Vermächtnis
Gegen Ende seines Lebens, Dezember 1964, wurde der fast 90-jährige Albert Schweitzer in Lambarene von einem Arztkollegen gebeten, die Quintessenz seines Denkens in einer Kurzansprache zusammenzufassen. Dies solle, so das Anliegen, in Gestalt einer Schallplattenaufnahme als sein geistiges Vermächtnis an die Menschheit möglichst große Verbreitung finden. Musste der alte Herr ein solches Ansinnen, so wertschätzend und edel es auch gemeint war, nicht als große Zumutung empfinden? Wie sollte er sein weitgespanntes, über vielfältige Fachgebiete sich erstreckendes Denken und ein geistiges Werk, das in Dutzenden von Büchern seinen Niederschlag gefunden hat, auf wenigen Seiten festhalten, ohne in Plattitüden zu verfallen?
Doch Schweitzer ergriff diese Zumutung, die jeder andere in diesem Alter von sich gewiesen hätte, als Chance, für alle Welt nochmals eines deutlich zu machen: Worin denn sein eigentlicher lebenstragender Kerngedanke besteht, in dem die Fäden seines vielfältigen, universellen Denkens und Wirkens zusammenlaufen und sich verknüpfen. Schon Arthur Schopenhauer, mit dem sich Schweitzer intensiv auseinandergesetzt hatte, erklärte einmal: Jeder große Denker hat, so umfangreich und vielschichtig sein Werk auch sein mag, nur einen Grundgedanken, aus dem sich alles andere ergibt.
Und so gab Schweitzer seinem Schallplattenbeitrag den schlichten Titel: „Mein Wort an die Menschen“. Heute ist der Beitrag im Originalton Schweitzers auf CD erhältlich.
Schon im ersten Satz seines Vermächtnisses stellt er seinen einen Grundgedanken gleichsam wie einen Fanfarenstoß voran:
„Ich rufe die Menschheit auf zur Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben.“
Sodann führt er aus, welche Konsequenz aus diesem Satz, dieser grundlegenden, alles umspannenden Leitidee folgt. Denn wer sich zur Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben, vor allem Leben, bekennt – so schließt Schweitzer unmittelbar an -, der kann nicht anders, als auf jegliche Unterscheidung von wertvollem und wertlosem, von nützlichem oder schädlichen Leben zu verzichten und allen Wesen, vom Menschen über das gesamte Tierreich bis zur Pflanzenwelt die gleiche Ehrfurcht entgegenzubringen wie dem eigenen. Und dann kommt er zu der Bewusstseinstatsache, die niemand leugnen kann:
„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“
Wer sich diesen immer wieder geradezu mantraartig zitierten Satz vergegenwärtigt, der „erlebt das andere Leben in dem seinen“, wie es Schweitzer ausführt. Und jedem wird ferner klar, dass es für die Unterscheidung von „gut“ und „böse“ nur ein Kriterium geben kann: Dass allein die Erhaltung und Förderung von Leben das Prädikat „gut“ verdient, hingegen dessen Schädigen oder Vernichten von Leben als „böse“ gelten muss.
Sie wissen es, in unzähligen Abhandlungen und Vorträgen wurde dies schon ausgeführt und trotzdem wiederhole ich es an dieser Stelle – nicht nur, weil diese Ethik weit davon entfernt ist, in Herz und Sinn der Menschheit, uns selbst inbegriffen, verankert zu sein. Vor allem aber auch, weil Schweitzers großes Engagement in seinem achten Lebensjahrzehnt gegen die Atomrüstung und für die Erhaltung des Friedens in der Welt ohne diese Ethik mit all ihren Konsequenzen nicht vorstellbar gewesen wäre.
Der vollständige Vortrag kann beim Autor angefordert werden.