Gabun feiert das Spitaljubiläum

Von Roland Wolf

Sie sind nicht zu übersehen: die Plakate, die überall in der Hauptstadt Libreville in französischer und englischer Sprache und mit einem gewöhnungsbedürftigen Porträt Schweitzers auf das hundertjährige Jubiläum der Spitalgründung in Lambarene hinweisen. Knapp drei Monate nach dem genauen Ankunftstermin am 16. April feiert das offizielle Gabun nach Ende der Regenzeit den „großen weißen Doktor“.

Ein ähnliches Bild bietet sich dem Besucher in Lambarene, doch ist die Plakatdichte dort noch größer, vor allem auf den Strecken, die Präsident Ali Bongo Ondimba auf dem Weg vom Flughafen und von seinem örtlichen Palast zum Schweitzer-Spital zurücklegen wird.

Auf dem Spitalgelände wird zwei Tage vor dem Besuch des Staatspräsidenten und der Ehrengäste hektisch gearbeitet. In die frisch betonierten Straßen wird ein Muster eingedrückt, das sie wie gepflastert aussehen lässt, die Bordsteine werden rot und weiß gestrichen, wo es keine gibt, häufen junge Frauen und Mädchen kleine Steine am Straßenrand auf, schwere Maschinen bringen schwarze Erde herbei, in die Blumen und Sträucher eingepflanzt werden.

Auch im Museum herrscht Betriebsamkeit, sogar noch nach Einbruch der Dunkelheit. Die New Yorker Cecilia Attias-Stiftung für Frauen hat es neu gestrichen und die Mückengitter erneuert. Jetzt werden noch die Vitrinen mit den Dokumenten der Ausstellung im großen Saal platziert. Cecilia Attias war früher mit Frankreichs Ex-Präsident Sarkozy verheiratet und ist jetzt die Frau des reichen französisch-marokkanischen Event-Managers, der für den gabunischen Präsidenten das Jubiläum organisiert.

An zwei großen, vom Präsidenten in Auftrag gegebenen Bauprojekten sind die Arbeiten noch nicht beendet: dem dritten Gebäude für die Forschung und vor allem dem großzügig geplanten Campus des Internationalen Universitätsklinikums, der etwas abseits hinter dem derzeitigen Spital entsteht. In der Woche vor den Feierlichkeiten hat es hier noch eine interessante Akzentverschiebung gegeben. Hieß das Gesamtprojekt bisher „Internationales Universitätsklinikum von Lambarene“, so prangt auf einigen Plakaten bereits der neue Name „Internationales Universitätszentrum für Forschung und Gesundheit Albert Schweitzer“.

Am 6. Juli ist es dann so weit. Vom frühen Morgen an überschwemmen Armee, Polizei, farbenprächtig uniformierte Ehrengarde, Sicherheitsbeamte und Mitarbeiter des Präsidialamtes den historischen Spitalteil, in dem noch letzte Aufräum- und Reinigungsarbeiten stattfinden. Am Eingang versammeln sich Spitalmitarbeiter in eigens für den Tag angefertigten T-Shirts.

Gegen zehn Uhr ertönen auf der Insel gegenüber dem Krankenhaus die Sirenen der Polizeimotorräder, die die Busse mit den Ehrengästen ins Spital eskortieren. Darunter erkennt man Louis Schweitzer, den Enkel von Schweitzers Bruder Paul und ehemaligen Generaldirektor von Renault, Frankreichs Kulturministerin Yamina Benguigui, einige gabunische Regierungsmitglieder und die protokollarisch zweite Person im Staat, die aus Lambarene stammende Senatspräsidentin Rogombe. Daneben eine ganze Reihe hochrangiger Wissenschaftler, Teilnehmer am zweitägigen Symposium zum Thema „Wissenschaft und pragmatischer Fortschritt“, zu dem Präsident Bongo Mediziner und Experten aus der ganzen Welt, darunter vier Nobelpreisträger, nach Libreville eingeladen hatte. Deutschland ist in Libreville und Lambarene durch den scheidenden Botschafter Rumplecker und den Regionalbeauftragten des Auswärtigen Amtes Kochanke vertreten.

Aufmerksamkeit erhält auch ein hochgewachsener Afrikaner, der sich im weißen Anzug mit schwarzer Fliege und Tropenhelm als Schweitzer-Imitat fotografieren lässt. Die ebenfalls in Weiß gekleideten Zwillinge, die Albert Schweitzer vor 54 Jahren als junge Halbwaisen in den Armen trug – das Foto von Erica Anderson ziert seitdem eine Postkarte und Briefmarken zahlreicher Länder – finden dagegen nur bei Kennern der Spitalgeschichte Beachtung.

Mit der dem Ranghöchsten angemessenen Verspätung setzt sich Präsident Bongo Ondimba von seinem Palast in Bewegung, wie erneutes Sirenengeheul in der Ferne anzeigt. Einige Minuten später fahren zwei schwarze Geländelimousinen ins Spital und halten vor dem Museum. Aus der einen springen Sicherheitsbeamte, aus der anderen der Präsident. Er begrüßt die Mitglieder des Stiftungsrats, die sich gegenüber dem Museum aufgereiht haben, an der Spitze Schweitzers Enkelin Christiane Engel.

Zusammen mit ihr geht er wie geplant zunächst allein, dann aber gefolgt von einer sich drängenden Menge von Pressevertretern und Gästen zum Grab Schweitzers auf dem alten Friedhof der Spitalmitarbeiter und legt dort ein Blumengebinde nieder. Anschließend begibt er sich mit ihr ins Museum, um dort die Ausstellung anzuschauen. Unbehelligt von Presse und Gästen verbringen die beiden dort fast eine halbe Stunde in angeregtem Gespräch, wie Christiane Engel später berichtet. Danach stellt er sich vor dem Gebäude mit ihr und Louis Schweitzer den Fotografen.

Die vorgesehene Einweihung des dritten Gebäudes für die Forscher und des Campus mit seinen großzügigen Verwaltungs- und Wohngebäuden entfällt, da beide Projekte nicht rechtzeitig fertiggestellt worden waren. Nur allzu gerne hätte der Präsident auch die neue Geburtsklinik des Spitals eingeweiht, obwohl diese nicht vom Staat Gabun, sondern mit Mitteln aus der Schweiz errichtet wird. Auch hier fehlen noch einige Wochen bis zur Fertigstellung. So beschränken sich die Einweihungszeremonien auf ein Tagungsgebäude neben dem Hotel Ogooué Palace und einige Einrichtungen im Regionalkrankenhaus Georges Rawiri, wo den Besuchern das Verfahren der Telemedizin vorgeführt wird.

Von all dem bekommen die Mitarbeiter des Albert-Schweitzer-Spitals nicht viel zu sehen. Ihre Statistenrolle beschränkt sich darauf, am Spitaleingang Spalier zu stehen. Mit geschlossenen Scheiben fährt der Präsident zweimal vorbei. Winken oder gar Aussteigen und Händeschütteln ist nicht vorgesehen. Die Enttäuschung ist dementsprechend groß. Die kann auch der dem Krankenhaus überlassene Geldbetrag nicht mindern, der sich in einem eher spartanischen Büffet niederschlägt.

Derweil genießen die auswärtigen Besucher im Präsidentenpalast in Lambarene einen feinen Imbiss, bevor sie zurück in die Hauptstadt geflogen werden. Dort warten nach der Eröffnung des Symposiums noch ein Galadinner und ein Konzert mit den Londoner Philharmonikern auf sie. Darüber kann der Verfasser dieser Zeilen jedoch nicht berichten, weil er diesen Veranstaltungen fern geblieben ist. Für ihn hat die wahre Jubiläumsfeier am 16. April 2013 in Andende stattgefunden, genau 100 Jahre nach der Ankunft des Ehepaars Schweitzer auf der dortigen Missionsstation.