Friedrich Schorlemmer lobt den berühmten Arzt als Vorbild bis heute
Von Ralf Siepmann
„Wäre Albert Schweitzer unser Zeitgenosse, würde er Papst Franziskus motivieren, gemeinsam mit ihm nach Damaskus zu reisen, um zu versuchen, der Gewalt gegen die Bevölkerung Syriens Einhalt zu gebieten.“ Dieses spektakuläre Gedankenspiel formulierte Friedrich Schorlemmer im Kaisersaal im Frankfurter Römer bei einer Feierstunde für den berühmten Arzt.
Schweitzer habe sich aus Liebe zum Leben unablässig für bedrohtes Leben eingesetzt und gegen Gleichgültigkeit, Abstumpfung, Mitleidlosigkeit, Herzenskälte und Herrschsucht gekämpft, sagte der evangelische Theologe. In seinem unbeirrten und unermüdlichen Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung sei er hoffnungsfroh geblieben, unterstrich Schorlemmer. Er wirke auch über seinen eigenen Tod hinaus. „Schweitzer steht so“, hob er hervor, „bis heute auf der Skala der Vorbilder obenan.“ Ohne Vorbilder könne eine Gesellschaft nicht leben – „Menschen mit großen Idealen, die sich für die kleine Praxis nie zu schade sind.“
Motto „Ehrfurcht vor dem Leben“
Schorlemmer ist Schirmherr des Albert-Schweitzer-Jahres 2013. Es erinnert an die Gründung des weltweit bekannten Spitals in Lambarene in Gabun durch den Elsässer Arzt, Theologen, Philosophen und Musiker vor genau 100 Jahren. Der in Frankfurt beheimatete Deutsche Hilfsverein für das Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene e.V. hat das Jahr unter dem Leitmotiv „Hundert Jahre Menschlichkeit“ ausgerufen, um Schweitzers Ethik der „Ehrfurcht vor dem Leben“ stärker ins Bewusstsein zu rücken. Spenden und Erlöse aus einem weit gefächerten Programm an 200 Orgelkonzerten, Ausstellungen und Symposien sollen der Sanierung des Krankenhauses zugutekommen, speziell der Erneuerung der Kinderklinik und des Kindergartens auf dem Spitalgelände.
Die Stadt Frankfurt bot nun ihrem Ehrenbürger eine adäquate Bühne anlässlich des Jubiläumsjahres. Das Deutsche Albert-Schweitzer-Zentrum fungiert als Archiv, Museum und Ort für Begegnungen.
In Anwesenheit des Botschafters von Gabun in Deutschland, Jean-Claude Bouyobart, sagte Schorlemmer: „Albert Schweitzer fasziniert, orientiert und inspiriert andere, das an je ihrem Ort Fällige zu tun, sich über Unrecht zu empören, sich zu engagieren und sich zu vernetzen, auch 100 Jahre nach Lambarene.“ Mit dem Weltruf, den er bis heute behalten habe, mache er „seine Verehrer nicht klein, sondern stark“. Schorlemmer rief dazu auf, im Geiste Schweitzers weiter zu wirken, ohne in Bewunderung zu erstarren: „Er ist keine Ikone vor der man niederfallen sollte, sondern ein Ideen-Geber zur Erhaltung der Welt.“
Ins Gelingen verliebt
Schweitzer könnten wir nur ehren, indem wir ihm zu entsprechen versuchten, unterstrich der Wittenberger Theologe. „Und das“, so Schorlemmer, „auf der Höhe der Zeit, in den Untiefen unserer Zeit, angesichts der totalitären Abhörpraktiken in der freien Welt, angesichts des grassierenden Welthungers und der höchst effizienten globalkapitalistischen Vernutzung der natürlichen Lebensgrundlagen.“ Wie Schweitzer setzt Schorlemmer auf die Jugend: Seine ganze Hoffnung habe auf der nächsten Generation beruht. „Schweitzer lebte einen Optimismus vor, der Niederlagetraining hinter sich hat. Das bedarf eines unverdrossenen Verliebtseins ins Gelingen.“
Gabriele Scherle, Pröpstin für die Propstei Rhein-Main der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), stellte Schweitzers „Widerstand gegen die Beschädigung des Lebens“ heraus. Seine Vorstellung von einer friedlichen Welt aus Respekt für alles Leben wurzele in seiner Haltung gegenüber Gott, von dem er „tief ergriffen“ gewesen sei. Wer diese elementare Überzeugung des Lambarene-Gründers vergesse, könne seiner Ethik nicht wirklich gerecht werden.
Alte und neue Gefahren
Der Vorsitzende des Hilfsvereins, Einhard Weber, sprach die Zielsetzung des Jubiläumsjahres an: „Es ist unser aller Aufgabe, selbst dafür zu sorgen, dass sich immer mehr Menschen, vor allem Jugendliche, mit der existenziellen Gedankenwelt des Friedensnobelpreisträgers auseinandersetzen.“ Die von Schweitzer beschworenen alten Probleme wie Radioaktivität und Atomwaffen hätten sich eher verstärkt, so der Mediziner Weber. Neue Gefährdungen seien hinzugekommen, etwa die Klimaveränderung, der Verbrauch nicht regenerierbarer Ressourcen und die barbarische Massentierhaltung. Webers Menetekel: „Durch eskalierende Gewalt und Zerstörung der Natur bedrohen wir die Zukunft unserer Kinder und gefährden das höhere Leben insgesamt.“
Zeitgleich zur eher stillen Feierstunde traten vor dem Römer bei einer Großveranstaltung von Gewerkschaften zu Themen des aktuellen Wahlkampfs Musikgruppen auf. Auch dieses Event eine Verlockung zum Gedankenspiel: Schweitzer, hätte er der Veranstaltung im ehrwürdigen Kaisersaal beigewohnt, wäre vermutlich zu den jungen Menschen in das Getümmel auf den Platz geeilt. Es braucht ja diese direkte Art, die Jugend, die Menschen für die Liebe zum „Gelingen“ zu gewinnen. Damals und nicht minder heute.