Von Roland Wolf
Am 13. April 2013, auf den Tag hundert Jahre nach ihren Großeltern, ist Enkelin Christiane Engel mit zwei ihrer Töchter und einem Schwiegersohn in Libreville. Ziel ist nicht die ehemalige Missionsstation, sondern das Französische Kulturinstitut. Dort gibt die Pianistin Engel zusammen mit dem Prager Stern-Quartett am Abend ein Konzert. Auf dem Programm stehen Werke von Bach und Mozart, der Erlös der Veranstaltung kommt dem Spital zugute.
Tags drauf fliegt die Reisegruppe um Christiane Engel (außer den Familienangehörigen die Assistentin und zwei Mitglieder der Spitalstiftung sowie eine Journalistin vom Bayerischen Rundfunk) von Libreville in die Wirtschaftsmetropole Port-Gentil, deren Wohlstand auf dem Erdöl beruht. Wofür die Europe 1913 acht Stunden benötigte, braucht die Boeing nur etwas mehr als 20 Minuten. Es war ein Inlandflug, und deshalb hatte niemand mit einer Zollkontrolle gerechnet. Doch die Rechnung hatten wir ohne einen Zollbeamten gemacht, der unbedingt seine Autorität beweisen wollte und darauf beharrte, dass wir aus dem Ausland eingereist wären und wir die Koffer öffnen müssten.
Vom Flughafen ging es direkt in ein Restaurant am Hafen, wo die Stadt Port-Gentil in Zusammenarbeit mit dem französischen Konsulat einen Empfang organisiert hatte. Dabei wurde der sichtlich gerührten Christiane Engel die Ehrenbürgerwürde der Stadt verliehen und ein symbolischer Stadtschlüssel überreicht. Die Nacht in einem gerade erst eröffneten vornehmen Hotel war weitaus angenehmer als die des Ehepaars Schweitzer 100 Jahre zuvor.
Am Morgen des 15. April hatte der Bürgermeister eine Stadtrundfahrt auf den Spuren Albert Schweitzers organisiert, doch von den Bauten der Kolonialzeit waren bis auf das „Café du Wharf“, wo wir zu Mittag speisten, nur noch wenige Überreste erhalten. Und auch der von Schweitzer beschriebene Holzhafen mit den Flößen aus Okoumé-Holz, dessen Ausfuhr wie vor hundert Jahren eine der Haupteinnahmequellen Gabuns ist, existiert nicht mehr, seit Gabun vor drei Jahren die Ausfuhr von Rundholz verboten hat und alle Stämme noch im Land gesägt werden müssen.
Am Nachmittag bestieg die Reisegruppe zwei Motorboote der Handelsmarine, um auf den Spuren Schweitzers auf dem Wasserweg nach Lambarene zu gelangen. Die Fahrt dauerte nicht zwei Tage wie einst, sondern nur etwas mehr als vier Stunden. Die grüne Wand des Waldes zog schnell vorbei und ließ keinen Affenschwanz erkennen. Man sieht nur, was man weiß. Und deshalb konnten uns die Inseln bei dem Ort Igendja nicht entgehen, bei denen Schweitzer im Jahre 1915 den Begriff der Ehrfurcht vor dem Leben (wieder)entdeckt hat.
Da der Ogowe in der Regenzeit viel Wasser führte, konnten wir mit den Booten bis zur Anlegestelle des Spitals fahren, wo wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit eintrafen. Die ganze Reise von Libreville bis Lambarene einschließlich der Übernachtung und der Mahlzeiten war übrigens von der Erdölfirma Total finanziert worden – ihr Beitrag zum 100jährigen Jubiläum. Konkurrent Shell Gabon hatte dem Spital einen Scheck in vierstelliger Höhe zukommen lassen.
Am Morgen des 16. April findet auf dem Gelände der ehemaligen Missionsstation Andende der erste Teil der Gedenkfeierlichkeiten statt. Inmitten der vierzig eisernen Pfähle, mit vier ins Leere führenden steinernen Treppenstufen, dem einzigen Überbleibsel vom Wohnhaus Schweitzers, enthüllt Christiane Engel ein Denkmal mit einer Büste ihres Großvaters. Daran befindet sich eine Gedenkplakette mit folgender Inschrift: „Am 16. April 1913 kamen Albert und Helene Schweitzer hier auf dem ehemaligen Gelände der Protestantischen Missionsstation von Andende an, um ein Spital zu gründen. 1924 wieder aufgebaut und vergrößert, wurde das Spital im Januar 1927 auf den heutigen Platz von Adolinalongo verlegt, wo seine Tätigkeit fortgesetzt wird“.
Auf diese Feierstunde im Beisein der Senatspräsidentin und von Vertretern der Stadt und der Region folgten auf dem Gelände des Albert-Schweitzer-Spitals ein ökumenischer Gottesdienst, verschiedene Folklore-und Gesangsdarbietungen und am Nachmittag ein von Afrikanern geschriebenes und dargebotenes Theaterstück „Es war einmal Albert Schweitzer“, das auf originelle Weise den Entschluss Schweitzers, nach Afrika zu gehen, und seine Anfangsjahre in Lambarene darstellte.
Mit einem Abendessen unter den auf dem Fußballplatz aufgestellten Zelten klang der Gedenktag aus.
Auf ausdrücklichen Wunsch des Staatspräsidenten fanden die Veranstaltungen ohne große Öffentlichkeit statt. Die offiziellen Feierlichkeiten des Staates, die wegen des Zustandes der Straße zwischen Libreville und Lambarene und aus klimatischen Gründen auf die Trockenzeit verlegt worden waren, sollten in keiner Weise vorweggenommen werden. Sie werden Anfang Juli mit großem Pomp in Libreville durchgeführt werden, in Lambarene ist nur ein kurzer Spitalbesuch der mit dem Flugzeug aus der Hauptstadt anreisenden Staatsgäste vorgesehen.