Eine Bildungsreise nach Lambarene

Von Daniel Neuhoff

Wem es gelingt, die ökologischen Bedenken gegen eine Flugreise erfolgreich zu zerstreuen, der hat mit einem Besuch des Albert-Schweitzer-Spitals in Lambarene die großartige Möglichkeit, einen ganz besonderen Ort dieser Welt zu sehen. Für mich persönlich stand bereits seit Jahren fest, dass ich zumindest einmal im Leben am Grab von Albert Schweitzer in Lambarene stehen wollte. Verstärkt wurde dieser Wunsch durch meine Tätigkeit als Vorstandsmitglied des Deutschen Hilfsvereins für das Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene e. V. und dem damit verbundenen Anspruch, über das praktische Lebenswerk von Albert Schweitzer besser informiert zu sein. Im Sommer 2012 bestand dann die Möglichkeit, diesen Wunsch im Rahmen einer Studienreise unter der Leitung von Dr. Roland Wolf, dem uneinholbar besten Kenner des historischen Albert-Schweitzer-Spitals und Mitglied des Vorstandes der Internationalen Albert-Schweitzer-Stiftung (FISL), der Trägerin des Spitals, zu realisieren.

Hier also fragmentarisch einige Reiseeindrücke: Die Republik Gabun wird heutzutage auf dem Luftweg (Frankfurt nach Libreville: 5.500 km) innerhalb von etwa sieben Stunden erreicht. Die Kleinstadt Lambarene (ca. 24.000 Einwohner) liegt rund 240 km südlich der Hauptstadt und ist innerhalb von knapp fünf Stunden mit dem Auto erreichbar. Die Einfahrt auf das Spitalgelände ist ein lange erwarteter erhebender Augenblick, der von einem tiefen Ehrfurchtsgefühl begleitet wird. Unsere Zimmer liegen in unmittelbarer Nähe zu den Gräbern von Helene und Albert Schweitzer in der historischen Zone abseits vom jetzigen Spitalbetrieb mit herrlichem Blick auf den Fluss Ogowe. Die kommenden zehn Tage werden ein großartiges Ensemble aus historischen Impressionen und interessanten zwischenmenschlichen Begegnungen.

Historisch gerecht begannen wir mit einem Besuch der etwa drei Kilometer entfernten ehemaligen evangelischen Missionsstation Andende, in welcher sich das Ehepaar Schweitzer nach seiner Ankunft am 16. April 1913 einquartierte. Die Missionsstation liegt etwa 50 Meter oberhalb des Ogowe und wird heute als Privathaus genutzt. Nur noch Kennern mit Detailblick erschließt sich die Geschichtsträchtigkeit dieses Ortes, an dem einst der berühmte Hühnerstall stand, in welchem Albert Schweitzer seine ersten Behandlungen durchführte.

Demgegenüber bringt das sogenannte „Alte Spital“ auf dem jetzigen etwa 120 Hektar großen Gelände des Albert-Schweitzer-Spitals dem Besucher die damalige Zeit in beeindruckender Weise nahe. In dem 1927 fertiggestellten, jüngst renovierten Gebäude und jetzigem Museum wird der Spitalbetrieb zu Zeiten von Albert Schweitzer vor dem geistigen Auge lebendig. Die Kranken kamen per Piroge am Ufer des Ogowe an und gingen dann aufwärts zum Spital, wo sie empfangen wurden. Einzigartige Exponate und historische Dokumente zeugen von der umfassenden medizinischen Hilfe, welche hier über Jahrzehnte geleistet wurde und die das Schicksal unzähliger Patienten erleichtert hat. Das „Alte Spital“ blieb über den Tod von Albert Schweitzer im Jahre 1965 hinaus funktionstüchtig und wurde erst durch den von Rhena Schweitzer initiierten Neubau, dem jetzigen Spital (Fertigstellung 1981), abgelöst.

Besonders ergreifend ist der Besuch des Lepradorfes, „Dorf des Lichts“, das abseitig auf dem Spitalgelände liegt und dessen Fertigstellung aus den Einnahmen der Nobelpreisverleihung 1954 finanziert wurde. Hier leben noch heute einige ältere Leprakranke, die vom Albert-Schweitzer-Spital versorgt werden, leider aber unter sehr ärmlichen Bedingungen leben müssen.

Ein beglückendes Fanal der Hoffnung ist unsere Bootsfahrt in verschiedene Dörfer, wo wir Zeuge der vom Albert-Schweitzer-Spital organisierten monatlichen Besuche eines Teams von Ärzten und Krankenschwestern im Rahmen der sogenannten PMI (protection maternelle et infantile) werden. Säuglinge werden geimpft, Kinder behandelt und Mütter aufgeklärt. Äußerst erfreulich und bemerkenswert ist dabei: Fast jedes Kind hat ein Gesundheitsbuch, in dem alle medizinischen Maßnahmen notiert werden. Jeder, der dies sieht, versteht sofort, welch unschätzbar wertvolle Hilfe hier geleistet wird. Das aktuelle Albert-Schweitzer-Spital versteht sich als Poliklinik, die alle Patienten behandeln kann und in der bestimmte von Schweitzer eingeführte Regeln weiterhin gelten, etwa die kostenlose Behandlung von Mittellosen und die Beherbergung von Angehörigen der Patienten. Der prägende Eindruck ist, dass alles irgendwie funktioniert, obwohl es an manchem hapert. Das angrenzende Forschungslabor, das unter anderem an einem groß angelegten Impfprojekt gegen Kleinkindmalaria beteiligt ist, wirkt demgegenüber moderner ausgestattet.

Zum Abschluss steht noch eine Motorbootfahrt auf dem Ogowe an, die uns die unermessliche Schönheit der teilweise noch unberührten Urwaldlandschaft mit Flusspferden und Baumriesen vor Augen führt. Der Ehrfurchtsgedanke wird hier in besonders schöner Form lebendig. Mit großer Dankbarkeit und Ergriffenheit kehrt man vom Erbauungserlebnis „Lambarenereise“ zurück in das alte Europa.