„Ehrfurcht vor dem Leben leben“

Von Daniel Neuhoff

So lautete die Maxime unserer Tagung mit etwa 150 Teilnehmern vom 20. bis 22. Mai 2011 in Hofgeismar. Eröffnet wurde die Vortragsreihe mit einem Publikumsmagneten, dem bekannten ehemaligen katholischen Theologen, Autor und Psychoanalytiker, Prof. Eugen Drewermann. In gewohnt eindringlich mahnender Weise zeichnete der Referent ein düsteres Bild der ökologischen Situation des Planeten Erde.

Der Mensch habe sich, letztlich gestützt auf den christlichen Glaubensmythos, die Erde und dessen Geschöpfe zum Untertan gemacht und insbesondere gegenüber Nutztieren ein unbarmherziges Ausbeutungssystem etabliert. Ähnlich wie Schweitzer fordert auch Drewermann „die Bruderschaft der vom Schmerz gezeichneten“. Konkrete Vorschläge gemäß der Frage „Was sollen wir tun?’“ blieb der Referent jedoch seinen Zuhörern mit Ausnahme eines Appells zum Vegetarismus schuldig. Das düstere, hoffnungslose Bild ließ die Zuhörerschaft in zwei geteilte Lager zerfallen. Die Fürsprecher lobten, dass unangenehme Wahrheiten deutlich zur Sprache gebracht wurden, den Kritikern fehlten ein Zeichen der Hoffnung und eine differenzierte realistische Einordnung der derzeitigen Phänomene in den Gang der Menschheitsgeschichte.

Am Samstagmorgen wartete die erste Referentin, Frau Weinzierl, Umweltzentrum Schloss Wiesenfelden, mit einer gelungen Überraschung auf. Statt eines Vortrages wurde das Auditorium zu einem Spaziergang in den Park der Akademie eingeladen, wo die Referentin an prominenten Stellen (vorwiegend Bäume) Zitate von Albert Schweitzer aufgehängt hatte. Die Teilnehmenden wurden eingeladen, ihren persönlichen Lieblingsspruch in Kleingruppen zu diskutieren.

Anschließend referierte Herr Prof. Altner über die Bedeutung Albert Schweitzers für die globale Umweltbewegung. Er legte textlich dar, dass wichtige Präambeln internationaler Konventionen (z.B. RIO Konvention 1992 zum Erhalt der biologischen Vielfalt) vom Geist der Schweitzer’schen Ehrfurchtsethik inspiriert worden sind. Es folgte der Vortrag von Dr. Ludwig Frambach über den Zusammenhang von Mystik und Handeln in Schweitzers Denken. In Abgrenzung zur mystisch-religiösen Tradition des Mittelalters stellt er Schweitzers Mystikverständnis als ein Verbundenheitserleben mit allem Leben heraus, das nicht in Selbstversenkung, sondern im aktiven ethischen Handeln gipfelt.

Nachmittags standen Workshops auf dem Programm, in denen die Teilnehmenden gemäß ihrer individuellen Interessen u. a. über philosophische, pädagogische und ökologische Fragestellungen rund um das Denken Albert Schweitzers diskutieren konnten.

Als emotionaler Höhepunkt der Tagung kann zweifelsohne der Samstagabend angesehen werden. An diesem referierte Herr Siegfried Neukirch, mittlerweile 81 Jahre alt, von seinem siebenjährigen Aufenthalt in Lambarene, den er mit einer Fahrradtour über den amerikanischen Kontinent eingeleitet hatte. Mit seiner einmalig anrührenden Art zog der Referent die Zuhörer in seinen Bann und ließ für einen Augenblick die Vorstellung einer physischen Präsenz von Albert Schweitzer lebendig werden. Wenn Neid sich je positiv äußern könnte, dann sicher bei den vielen Zuhörenden, die sich selber gerne an der Stelle des Erzählenden gesehen hätten.

Den lebenspraktischen Abschluss der Konferenz bildete am Sonntagmorgen ein Vortrag von Martin Kowarsch, der Interessierten auch via Internet verfügbar ist (http://www.akademie-hofgeismar.de/). Auf Basis einer nüchternen Analyse des Ressourcenverbrauches stellte der Autor dar, dass der Lebensstil, insbesondere in den westlichen Ländern, die Kernfrage für die Schaffung von globaler Gerechtigkeit mit einer ökologisch vertretbaren Entwicklung darstellt. Auch hier schimmerte wieder der Geist Albert Schweitzers durch, der mit seinem bescheidenen materiellen Lebensstil schon zu seiner Zeit vorbildlich für ein nachhaltiges Wirtschaften war.

Schließlich berichtete Folke Dreier von eindrücklichen Beispielen gelebter Ehrfurcht vor dem Leben unter dem Leitgedanken „Selbst zum Vorbild werden“, sein eigenes Lambarene schaffen.

Auch wenn diese von der Evangelischen Akademie Hofgeismar und dem Deutschen-Albert-Schweitzer-Zentrum gemeinsam veranstaltete Tagung nicht immer erschöpfend in Analyse und Schlussfolgerung war, ist damit der Kreis derer, die aus den durch Schweitzer eröffneten Perspektiven schöpfen ein Stück gewachsen. Es bleibt unsere Aufgabe, auch die nachrückende Generation verstärkt an diesen Blick auf Gegenwart und Zukunft heranzuführen.