Albert Schweitzer und das Klug werden – Eine Nachlese zum 35. DEKT in Stuttgart

Von Konstanze Schiedeck

Damit sie klug wurden – die Wissbegierigen – hatten sich zum 35. Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) über 100.000 Menschen auf den Weg gemacht. Sie kamen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, auch in Privatautos oder aber mit dem Flugzeug nach Stuttgart. Aus 104 Nationen trafen Menschen jeder Hautfarbe zusammen, um dem Motto des Kirchentages „damit wir klug werden“ (Psalm 90, 12) nachzuspüren und Wissenswertes einzuholen. Lernfähig waren sie und aufgeschlossen, bereit sich für Neues zu öffnen. 620 Seiten der Tagungsmappe, dieses Mal in Knallrot, mussten sie ergründen und durchforsten. Entscheidungen waren zu treffen, was könnte, würde klug machen?

Klug war es und vor allem vorausschauend, sich zum Eröffnungsgottesdienst einen kleinen Klappstuhl mitzubringen, um die Feier in ihrer ganzen Länge auf dem Schlossplatz miterleben zu können. Von Klugheit zeugte auch, eine Kopfbedeckung und etwas zum Trinken dabei zu haben; denn die Sonne offenbarte ihre ganze Kraft und dies nicht nur an diesem Abend.

Bäume der Erkenntnis, Kunstobjekte – aufgestellt im Schlossgarten und unmittelbarer Umgebung – in den Farben violett, blau, orange, gelb, weiß und rot, kennzeichneten die verschiedenen Regionen Baden-Württembergs. In ihrem Umfeld kosteten die Angereisten am Abend der Begegnung Spezialitäten des Landes und übten sich in mehr oder minder geistreichen Gesprächen. Nicht jede/r war so klug oder hatte das Glück, sich einen der kleinen Baum-Nachbildungen in Pappe als Andenken zu erhaschen und dieses Abbild der Klugheit ins Quartier zu tragen.

Für den Donnerstag bis Samstag waren Bibelarbeit, gemeinsames Singen, Vorträge und anderes angesagt. Aus über 2.400 Angeboten galt es, eine Auswahl zu treffen.

Eine sehr wichtige Erkenntnis brachten Kirchentags-Kundige jedoch schon mit: „Es geht nicht alles, was man sich wünscht“. Wer diese Klugheit besaß, wurde kaum enttäuscht, wenn eine Veranstaltung wegen Überfüllung geschlossen war oder wenn wegen der längeren Fahrzeiten von einem Ort zu anderen, das ursprüngliche Ziel aufgegeben werden musste. Ein behändes, erneutes „Durchstöbern“ des Programms sprach von Weitblick und Einsicht. Das Angebot gescheit zu werden, war auch woanders einzuholen.

Auf dem Markt der Möglichkeiten, untergebracht in 14 Zelthallen, gab es kaum vorstellbare Informationen von Hilfsorganisationen. Sie rüttelten wach, stellten die eigene Klugheit in Frage und zeigten Möglichkeiten zur Bewusstseinsänderung.

Zur Horizonterweiterung trug auch der Deutsche Hilfsverein für das Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene e.V. in Halle 8 bei. Klug war es, Schweitzers zahlreiche Veröffentlichungen nur in Taschenbuchformat anzubieten. Sie animierten zum Kauf. Ein dickleibiges Buch hätte davon abgehalten.

Am Donnerstag, dem ersten Messetag, beobachtete ich das Geschehen am Stand. Wer blieb vor den Buch-Auslagen stehen? Wer betrachtete die großen Wandplakate? Es waren meistens Menschen, die den Urwalddoktor durch ihre eigene Biografie oder die ihrer Familie noch kannten.

Eine Person gab zu erkennen, Albert Schweitzer sei der Onkel seiner Mutter gewesen. Eine andere äußerte, die Großmutter habe auch schon für Schweitzer gespendet. Ein Mann verriet uns, der Bürgermeister seines Wohnortes wollte eine Albert-Schweitzer-Schule umbenennen, weil er glaubte, die Menschen würden den Urwalddoktor nicht mehr kennen. Doch da gab es Protest seitens der Bürger. Dies sei eine kluge Entscheidung gewesen.

Eine jüngere Frau berichtete nicht ohne einen gewissen Stolz, dass Albert Schweitzer dem Theologen Billerbeck, ihrem Ururgroßvater, einen Brief nach Greifswald geschrieben habe. Dieses Dokument sei noch vorhanden. Herr Günther Dietrich wies darauf hin, dass im Rundbrief Nr. 104 zwar sein Artikel veröffentlicht worden war, nicht aber das mitgeschickte Bild.

Ein Pressefotograf bereicherte uns durch ein intensives Gespräch. Er fragte nach, ob er von unserem Stand das Bild Albert Schweitzer mit Kindern abfotografieren dürfe. Sein berufliches Anliegen sei es heute, auf Asylsuchende aufmerksam zu machen und sich für den Schutz von Tieren einzusetzen.

Bepackt mit Rucksack und Taschen jeder Art schlenderten junge und ältere Menschen am Stand vorbei, warfen kurz einen Blick auf unsere Auslagen, aber hie und da traf uns auch ein freundliches Zunicken oder man blieb stehen und sprach uns an.

Die Sonne brannte gnadenlos aufs Zelthallendach. Frischluft kam vom schräg gegenüberliegenden Einlass herein, doch sie brachte wenig Abkühlung, uns aber die Einsicht: Ähnliche Bedingungen hatte Schweitzer Tag für Tag, Jahr für Jahr in Lambarene vorgefunden. Afrikanische Temperaturen waren auch in den beiden Folgetagen angesagt. Die Besucher/innen wurden müder, man konnte ihre Mattigkeit förmlich spüren, doch es gab trotzdem immer wieder interessante Gespräche und gute Begegnungen.

Eine Theologin unterbreitete uns, sie persönlich schätze Schweitzer sehr, könne ihn in der Schule aber nicht mehr vermitteln wegen seines Rassismus in seiner Sprache. Das machte betroffen. Wir fragten nach Beispielen. Sie verwies uns auf ein Buch, schaute auf die linke Bildtafel, griff das Wort „Urwald“ auf, dieses müsse man durch „Regenwald“ ersetzen.

Auf diese Weise klug geworden, las ich, wieder zu Hause, in Schweitzers Schriften und suchte danach, inwieweit dieser Vorwurf berechtigt sei. Ja, ich konnte Ausdrücke finden, die Schweitzer heute sicherlich nicht mehr gebrauchen würde, aber ich sehe sie im zeitbedingten Kontext.

Zwar habe ich bei Schweitzer das Kirchentagsmotto „damit ihr klug werdet“ nicht wörtlich gefunden, aber dafür viele Aussprüche, die viel Klugheit beinhalten und von der wir alle lernen können.

Hintan führe ich einige Zitate an. Doch zuvor möchte ich meinen Dank an Miriam Böhnert, Leiterin des Deutschen Albert-Schweitzer-Zentrums, und an ihre Mitarbeiterinnen aussprechen. Eine jede hat sich engagiert am Stand A 16 dafür eingesetzt, dass Albert Schweitzer auch 50 Jahre nach seinem Tod nicht in Vergessenheit gerät.

Zitate:

Es ist besser, hohe Grundsätze zu haben, die man befolgt, als noch höhere, die man außer Acht lässt.

Nicht auf das, was geistreich, sondern auf das, was wahr ist, kommt es an.

Das gute Beispiel ist nicht nur die Möglichkeit, andere Menschen zu beeinflussen. Es ist die einzige.

Wir haben die Welt erobert und nicht gefragt, was aus den Menschen wird.

Unser Nächster ist nicht nur der Mensch. Unsere Nächsten sind alle Wesen. Deshalb glaube ich, dass der Begriff der Ehrfurcht vor dem Leben unseren Gedanken der Humanität mehr Tiefe, mehr Größe und mehr Wirklichkeit verleiht. Die Probleme sind nur durch Gesinnung zu lösen.