Albert Schweitzer – gestern und heute

Von Konstanze Schiedeck

Albert Schweitzer – gestern und heute:
Bericht über Abendveranstaltung am 19.8.2019 im Haus am Dom

Ein lauer Sommerabend. Viele Tische in den Straßencafés der Mainmetropole sind bis auf den letzten Stuhl besetzt. Die Menschen genießen Unterhaltung, Speisen und das abendliche Flair.

Doch auch zum Haus am Dom haben sich an die hundert Interessierte eingefunden, um die Veranstaltung „Albert Schweitzer – gestern und heute. 60 Jahre Frankfurter Ehrenbürger – und nun?“ zu erleben.

Dr. Gottfried Schüz, Vorsitzender der Stiftung Deutsches Albert-Schweitzer-Zentrum, beantwortet in einem Kurzreferat die spannende Frage, wie es zu dem Ehrenbürgertitel kam. Ein besonderer Zauber sei für Schweitzer von Frankfurt ausgegangen, hervorgerufen durch persönliche Freundschaften und Kontakte zu Oberbürgermeister Landmann, Bockelmann und Prof. Beutler. Mehr als 20 mal habe Schweitzer die Stadt Frankfurt besucht, oft um die Zeit von Goethes Geburtstag.

Dreimal habe er Vorträge zu Goethe-Jubiläen gehalten. Bescheiden wie Schweitzer war, schrieb er, man solle einen „richtigen Goetheforscher nehmen“, er „wäre nur ein Goethe-Liebhaber“.

Nach diesem informativen, bewegenden Auftakt belegt durch eine Reihe von Zitaten, gab Prof. Dr. Claus Eurich Einblick in Albert Schweitzers Ethik. Dessen Kernsatz: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will“ — 1915 formuliert — sei die erste ökologische Ethik, die nicht nur den Menschen, sondern grundsätzlich alles Leben einschließt. Dies sei ein ganz neuer Denkansatz, über den die Politik bis heute allerdings hinwegsieht. Alles Leben sei heilig, als Beispiel führt er die Spinne an. Sie saugt Leben aus, aber wir sind die einzige Art, die dies erkennen und bedenken kann. Wahrhaft denkend zu werden, sei der Kern der Schweitzerischen Ethik. Schweitzer sei ein Mensch gewesen, bei dem Deckungsgleichheit bestand, zwischen dem, was er sagte und tat.

Eurich nennt vier Leitgedanken, die aufzeigen, wie wir Schweitzers Ethik heute leben können:

  1. Geschwisterlichkeit. Sie beinhalte das Herauskommen aus der Egozentrik und fordere fürsorgliches Verhalten.
  2. Lebe einfach! Das bedeute, verzichte auf das, was zu einem Leben in Würde nicht nötig ist.
  3. Nicht verletzen: Schweitzer sagt: „Gut ist, was dem Leben dient, böse, was das Leben schädigt“. Zwar kann der Mensch Verletzungen nicht gänzlich ausschließen, aber wir sollen nicht willentlich verletzen.
  4. Leben in Gewissensorientierung oder Gewissensverpflichtung. Eine ständige Prüfung des Gewissens sei nötig. „Ein gutes Gewissen ist vom Teufel“, zitiert er Albert Schweitzer.

Die knappen, frei vorgetragenen Ausführungen hätte Prof. Eurich sicherlich gerne noch weitergehend erläutert, aber es stand ein Gespräch auf dem Programm, was ihm Grenzen setzte. Eingeladen waren nämlich auch die Politikerinnen Rosemarie Heilig, Dezernentin für Frauen und Umwelt und Dr. Ina Hartwig, Kulturdezernentin sowie Bürgermeister Uwe Becker. Die Journalistin Ulrike Holler führte die Moderation. Die den Politiker/innen gestellten Fragen beantworteten diese anfangs mit Zurückhaltung. Bürgermeister Becker erwiderte wiederholt, in der Politik gehe es immer um Kompromisse, anders sei sonst nichts durchzusetzen.

Frau Heilig, gefragt nach ihrem Beitrag zur Bewahrung der Umwelt, benennt die Erhaltung des Grüngürtels, für den sie sich eingesetzt habe.

Frau Hartwig berichtet ebenfalls über Ihre Kulturarbeit u. a. führt sie den Zoo an. Dann warf sie ziemlich unvermittelt ein, man müsse aber auch sehen, dass Schweitzer ein Kolonialist gewesen sei, außerdem ein Rassist; denn er habe die Schwarzen als Neger bezeichnet und sie auch geschlagen. Folglich müsse man überlegen, inwieweit die Ethik Schweitzers zu hinterfragen sei bzw. man sogar etwas von ihr wegnehmen müsse. Betroffen machte diese Äußerung der Kulturdezernentin. Auf ihren emotionalen Ausbruch reagierte Prof. Eurich ruhig und gelassen, er empfehle die Biographie von Harald Steffahn. Ob diese Antwort dem der Zuhörerschaft geholfen hat, war nicht auszumachen. Wer Schweitzer nicht in seinem zeitlichen Kontext zu verstehen versucht, hat ihn nicht verstanden. Aber es gibt auch andere Zeitgenossen, die Schweitzer oberflächlich beurteilt und als „Meister der Selbstinszenierung“ bezeichnet haben.

Und nun? Mag sich manch eine(r) nach dem Vortrag gefragt haben. Die anwesenden Politiker/innen würden Albert Schweitzer heute wohl kaum zum Ehrenbürger erklären.

Doch Prof. Eurich sieht in Schweitzers Ethik die Antwort auf die drängenden Fragen unserer Zeit.